26.10.2022
Hingehört! Vogelgezwitscher ist gut für die mentale Gesundheit
Wer demnächst munteres Vogelgezwitscher hört, sollte innehalten und lauschen. Denn Vogelgesang kann nachweislich Ängstlichkeit und irrationale Gedanken mildern. Das haben Wissenschaftler*innen des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) herausgefunden. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlicht.
In der Studie untersuchten die Wissenschaftler*innen, wie sich
Verkehrslärm und Vogelgesang auf Stimmung, Paranoia und kognitive Leistung
auswirken. Dazu führten sie ein randomisiertes Online-Experiment mit
insgesamt 295 Teilnehmenden durch. Diese hörten sechs Minuten lang
entweder typische Verkehrsgeräusche oder Vogelgesänge – dabei variierte
die Anzahl der verschiedenen Verkehrsgeräusche und Vogelstimmen. Vor und
nach den Hörproben füllten die Teilnehmenden Fragebögen zur Erfassung der
mentalen Gesundheit aus und erhielten Kognitionsaufgaben. „Jeder Mensch
trägt bestimmte psychische Dispositionen in sich. Auch Gesunde können
beispielsweise Angstgedanken oder zeitweise paranoide Wahrnehmungen haben.
Die Fragebögen erlauben es üblicherweise bei den Teilnehmenden Tendenzen
zu Depressionen, Angststörungen und Paranoia zu erkennen und den Effekt
von Vogelgesang oder Verkehrsgeräuschen auf diese Neigungen zu
untersuchen“, sagt Erstautor Emil Stobbe, Doktorand in der Lise-Meitner-
Gruppe Umweltneurowissenschaften am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.
Insgesamt legt die vorliegende Studie nahe, dass das Hören von
Vogelstimmen Ängstlichkeit und Paranoia bei gesunden Teilnehmenden
verringert. Auf depressive Zustände scheinen sie in diesem Experiment
keinen Einfluss zu haben. Verkehrslärm dagegen verschlimmerte generell
depressive Zustände, besonders bei einer Tonspur, die viele verschiedene
Verkehrsgeräusche beinhaltete. Während der positive Einfluss von
Vogelgeräuschen auf die Stimmung bereits bekannt ist, zeigt diese Studie
nach Kenntnis der Autor*innen erstmalig einen Effekt auf paranoide
Zustände. Dabei war es nicht relevant, ob der Gesang von vielen
verschiedenen Vogelarten oder nur von zwei Spezies kam. Keinen Einfluss
von Vogelgesang wie auch Verkehrslärm konnten die Wissenschaftler*innen auf die kognitive Leistung feststellen.
Als eine mögliche Erklärung sehen die Wissenschaftler*innen, dass
Vogelstimmen unterschwellig mit einer intakten natürlichen Umgebung in
Verbindung gebracht werden, die die Aufmerksamkeit von Stressoren
ablenken, und die ansonsten eine akute Bedrohung signalisieren könnten.
Insgesamt ergeben sich aus den Ergebnissen interessante Ansätze für
weitere Forschung und Anwendung, wie die aktive Manipulation von
Geräuschkulissen in verschiedenen Situationen oder ihre Untersuchung der
Wirkung auf Menschen mit diagnostizierten Angststörungen und Paranoia.
„Vogelgesang könnte also zur Prävention von psychischen Erkrankungen
eingesetzt werden. Schon das Anhören einer Klang-CD wäre eine einfache,
leicht zugängliche Intervention. Aber wenn wir schon in einem Online-
Experiment, das die Teilnehmenden am Computer absolvierten, solche Effekte
nachweisen können, ist davon auszugehen, dass diese in der freien Natur
noch stärker sind“, sagt Stobbe. Er forscht an der Lise-Meitner-Gruppe
Umweltneurowissenschaften am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung,
die sich mit den Auswirkungen der physikalischen Umwelt auf das Individuum
beschäftigt. „Erst jüngst konnten wir in einer Studie zeigen, dass bereits
ein einstündiger Aufenthalt in der Natur die mit Stress verbundene
Gehirntätigkeit reduziert“, ergänzt die Leiterin der Forschungsgruppe
Simone Kühn. „Wir können aber nicht genau sagen, welche Merkmale der Natur
– also Gerüche, Geräusche, Farben oder deren Kombination – für den Effekt
verantwortlich sind. Die vorliegende Studie ist ein weiterer Baustein zur
Klärung dieser Frage“, so Kühn weiter. Fest stehe, dass Natur die
psychische Gesundheit und das Wohlbefinden verbessere. Also: Ab nach draußen!
Originalpublikation:
Stobbe, E., Sundermann, J., Ascone, L., & Kühn, S. (2022). Birdsongs
alleviate anxiety and paranoia in healthy participants. Scientific
Reports, 12, Article 16414.
https://doi.org/10.1038/s41598-022-20841-0
Sudimac, S., Sale, V., & Kühn, S. (2022). How nature nurtures: Amygdala
activity decreases as the result of a one-hour walk in nature. Molecular
Psychiatry. Advance online publication.
https://doi.org/10.1038/s41380-022-01720-6
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
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