10.03.2022
Zukunft der Reaktorforschung nach dem Atomausstieg
Deutschlands modernster Kernreaktor steht in Dresden
Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine wird auch die Diskussion um den deutschen Atomausstieg wiederbelebt. Während einige Politiker wie der
bayerische Ministerpräsident Markus Söder einen "Ausstieg aus dem Ausstieg" fordern, um sich mit deutschem Atomstrom von Russlands Erdgas unabhängig zu machen und die Energieversorgung Deutschlands sicherzustellen, hat die Bundesregierung laut Umweltministerin Steffi
Lemke keine Pläne, ihren Kurs zu ändern: Alle deutschen Atomkraftwerke werden planmäßig 2022 abgeschaltet.
Doch das bedeutet nicht das Aus für alle kerntechnischen Anlagen
Deutschlands. Auch nach dem geplanten Atomausstieg 2022 werden sechs
weitere deutsche Kernreaktoren in Betrieb sein – Ausbildungs- und
Forschungsreaktoren, die nicht kommerziell genutzt werden. Einer davon ist
der Ausbildungskernreaktor 2, kurz AKR-2, im Walther-Pauer-Bau auf dem
Campus der TU Dresden.
Der 1978 in Betrieb genommene AKR in Dresden ist die letzte Erinnerung an
die Bestrebungen der DDR, Sachsen zum Zentrum der Kernenergieforschung
auszubauen. Im Zuge der Wiedervereinigung wurde vereinbart, dass die
Betriebsgenehmigungen der ostdeutschen kerntechnischen Anlagen 2005
unwirksam werden. Unter diesen Umständen fiel in Sachsen 1998 die
Entscheidung, ein neues Genehmigungsverfahren für den AKR an der TU
Dresden einzuleiten, um dessen Weiterbetrieb zu sichern. Am Ende dieses
bürokratischen Mammutvorhabens stand die umfassende Modernisierung des AKR
ab 2004. Nach nur einem Jahr Umbauzeit konnte der Reaktor 2005 schließlich
wieder in Betrieb genommen werden und aus dem AKR-1 wurde der AKR-2.
„Der AKR-2 ist damit noch vor dem 2004 in München in Betrieb genommenen
Forschungsreaktor FRM II der modernste Kernreaktor Deutschlands,“ erklärt
der Leiter des Reaktors, Dr.-Ing. und Diplomphysiker Carsten Lange. Nicht
nur seine Modernität macht den AKR-2 besonders: Durch seine niedrige
Leistung von nur 2 Watt und die Sicherheit des Systems, das ohne
Kühlwasser auskommt und so konfiguriert ist, dass es sich bei
Überschreiten definierter Grenzwerte von selbst abschaltet, darf jede
Person ab 16 Jahren ohne vorherige Ausbildung den Reaktor unter Aufsicht
des Reaktorbetriebspersonals bedienen. Das macht den AKR-2 zu einem
besonders beliebten Reaktor für Gäste aus aller Welt. So begrüßt Carsten
Lange normalerweise über 1000 Gäste im Jahr am AKR-2 und selbst 2021
besuchten trotz Corona noch 700 bis 800 Personen die Anlage. Darunter sind
zahlreiche Schulklassen, Vereine, aber auch Firmen, die ihre Mitarbeiter
weiterbilden wollen. Außerdem werden am AKR-2 regelmäßig international
tätige Kernmaterialinspekteure ausgebildet.
Doch welche Zukunft hat die deutsche Forschung an Kernreaktoren nach 2022?
Bedeutet der Ausstieg aus der Kernenergie auch das Aus für den AKR-2?
„Nein,“ sagt Carsten Lange entschieden. Zum einen werden unsere
Nachbarländer weiter Kernkraftwerke bauen, daher ist es wichtig, dass auch
in Deutschland das Know-How zu Kernreaktoren erhalten bleibt. „Der sichere
Betrieb kerntechnischer Anlagen im Ausland stellt ein wesentliches
deutsches Sicherheitsinteresse dar. Wenn ein völlig neues Reaktorsystem im
Ausland eingesetzt wird, müssen wir in der Lage sein, die Sicherheit
dieses Systems bewerten zu können. Dafür brauchen wir eigene Forschung, um
die internationalen Entwicklungen in der Kerntechnik zu begleiten und uns
aktiv in die internationale Diskussion zu Reaktorsicherheitsfragen sowie
die Weiterentwicklung des Standes von Wissenschaft und Technik einbringen
zu können.“ Zum anderen ist Deutschland, so Carsten Lange, ein Vorbild für
Reaktorsicherheit. „Es wäre ein Problem für Deutschland, wenn wir hier die
Kompetenzen verlieren. Dann hätten wir kein Mitspracherecht mehr, was die
Sicherheitskultur an ausländischen Anlagen betrifft.“
Aktuell werden diese Kompetenzen von Carsten Lange und seinem Team nicht
nur an die Studierenden der TU Dresden weitergegeben, sondern auch im
Rahmen des von Euratom, der europäischen Atomgemeinschaft, finanzierten
„GRE@T PIONEeR“-Projekts an internationale Studierende und
Doktorand:innen. Neben der Lehre entwickelt das Team am AKR-2 außerdem ein
neues reaktorphysikalisches Verfahren für die Kernmaterialinspektion, das
in die Ausbildung der Inspekteure aufgenommen werden soll und ist in
Projekte unter anderem zur Moderatorentwicklung und zu ganz neuen
Reaktorsystemen, wie dem Dual Fluid Reaktor involviert.
Die Forschung am AKR-2 beschränkt sich jedoch nicht allein auf Themen, die
unmittelbar mit Kernenergie in Zusammenhang stehen. Der Reaktor verfügt
über mehrere Experimentierkanäle, mithilfe derer Proben direkt mit
Neutronen bestrahlt werden können. So kann die Auswirkung von erhöhter
Strahlung auf verschiedenste Materialien untersucht werden. Dies ist zum
Beispiel für die Raumfahrt relevant. Im All eingesetzte Mikroelektronik
ist einer höheren Strahlung ausgesetzt als auf der Erde. Um zu testen, wie
sich dies auf die Technik auswirkt, werden aktuell in den
Experimentierkanälen des AKR-2 Platinen gezielt bestrahlt und so ihre
Strahlungsresistenz überprüft.
Auch für andere Energietechnologien kann die Forschung am AKR-2 einen
wertvollen Beitrag leisten: Durch die Methode der Neutronenradiografie,
also der Bildgebung mittels Neutronenbestrahlung, können die
Forscher:innen am AKR-2 in Brennstoffzellen hineinschauen während diese in
Betrieb sind. So kann erkannt werden, wo sich bei der Reaktion von Wasser-
und Sauerstoff in der Zelle Wasser bildet. Diese Informationen sind
nützlich, um Brennstoffzellen effizienter zu gestalten. Auch
Wasserstoffspeicher und Flüssigmetallbatterien können mittels der
Neutronenradiografie untersucht werden. So trägt der AKR-2 auch zur
Weiterentwicklung von Wasserstofftechnologien und Energiespeichern bei.
Carsten Lange hat aber noch weitreichendere Pläne: Er möchte den AKR-2 zu
einer Experimentierplattform ausbauen, die noch mehr Möglichkeiten für die
Reaktorsicherheitsforschung bietet und gleichzeitig auch zu ganz anderen
Forschungsfeldern wissenschaftlich beitragen kann. Damit würde er zwei
Lücken in der deutschen Forschungslandschaft füllen, in der es einerseits
fast keine experimentelle Reaktorphysik mehr gibt und andererseits nur
noch sehr wenig Neutronenquellen für die Forschung existieren: „Wir können
neue reaktorphysikalische Methoden entwickeln, in denen sowohl Experimente
als auch Simulationen in zweckmäßiger Weise eingebunden werden – das ist
etwas Besonderes in diesem Gebiet. Außerdem können andere
Wissenschaftler:innen die vom AKR-2 bereit gestellten Neutronen als Sonde
für ihre spezifischen wissenschaftlichen Fragestellungen nutzen.“
Dementsprechend blickt er optimistisch in die Zukunft des AKR-2: „Es gibt
noch wahnsinnig viel Potential und meine Aufgabe ist es, im Rahmen des
bestimmungsgemäßen Betriebs des AKR-2 diese Entwicklungen voranzubringen.“
https://tu-dresden.de/ing/maschinenwesen/iet/wket/ausbildungskernreaktor-akr-2
Technische Universität Dresden
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