10.03.2022
Weltwassertag am 22.März: Grundwasser – unsichtbare Ressource u. (un-)sichtbare Probleme
Die Vereinten Nationen rufen zum Weltwassertag am 22. März 2022 das Motto
"Groundwater: Making the Invisible Visible" aus. Denn der weltweiten
Grundwasserproblematik wird bislang wenig Beachtung geschenkt. Die
kostbare Ressource ist vielerorts verschmutzt, und häufig wird den
unterirdischen Grundwasserleitern mehr Wasser entnommen, als sich nachbilden kann.
Die Forschungsgruppe "regulate" unter der Leitung des
ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung untersucht, wie die
"unsichtbare" Ressource besser geschützt werden kann.
Die Verfügbarkeit von Grundwasser ist für die Weltbevölkerung elementar.
Es ist die wichtigste Quelle für die Trinkwasserversorgung und die
Nahrungsmittelproduktion. Doch in vielen Teilen der Welt werden die
unterirdischen Vorräte so stark übernutzt, dass der Grundwasserspiegel
drastisch sinkt – vor allem in Regionen mit intensiver
landwirtschaftlicher Bewässerung, auch in Deutschland. „Aufgrund der Hitze
und Trockenheit der letzten Jahre konnten sich Grundwasserkörper nicht gut
erholen. Dass sich nicht ausreichend neues Grundwasser nachbilden kann,
ist ein Problem, das der Klimawandel noch weiter verschärfen wird“, sagt
Fanny Frick-Trzebitzky, die am ISOE die Forschungsgruppe regulate leitet.
"Wir können nur mit einer nachhaltigen Bewirtschaftung der
Grundwasserressourcen gegensteuern."
Paradigmenwechsel in der Grundwasserforschung und -bewirtschaftung notwendig
Nachhaltig könne für die Grundwasserbewirtschaftung aber nicht nur heißen,
lokal weniger Wasser zu entnehmen. Das Problem sei vielschichtiger, weiß
Wasserforscherin Frick-Trzebitzky. „Wenn trotz internationaler
Wasserrahmenrichtlinie, die für die Europäische Union eine gute Qualität
und Quantität der Grundwasserkörper gewährleisten soll, viele dieser
Körper mengenmäßig und chemisch in schlechtem Zustand sind, muss uns das
alarmieren.“ Die Forschungsgruppe regulate rät zu einem Paradigmenwechsel
schon in der Grundwasserforschung, damit neue, nachhaltige
Bewirtschaftungsstrategien entwickelt werden können. „Bisher ist der Fokus
stark auf lokale Grundwasservorkommen beschränkt, Lösungen setzen in der
Regel vor Ort an und scheitern leider häufig“, sagt Frick-Trzebitzky. „Wir
müssen uns in der Forschung viel stärker auf die Prozesse konzentrieren,
die hinter den jeweils vor Ort sichtbaren Vorgängen liegen. Das heißt, wir
müssen den Blick auf die überregionalen Wirkungen auf das Grundwasser, die
sogenannten Telekopplungen lenken.“
Telekopplungen: Grundwasserprobleme entstehen nicht nur regional
Geht man tiefer in die Ursachenforschung für die lokale oder regionale
Grundwasserproblematik, stellt man fest, dass der Druck auf die
Grundwasserleiter nämlich nicht allein durch die Entnahme vor Ort in den
sogenannten Hotspot-Regionen Europas entsteht. „Zur Übernutzung und
Verschmutzung des Grundwassers tragen überregionale Fernwirkungen
entscheidend bei, dafür ist etwa der Gemüseanbau in südeuropäischen
Regionen ein gutes Beispiel“, sagt Robert Lütkemeier, der die
Forschungsgruppe gemeinsam mit Frick-Trzebitzky leitet. Zwar werde das
Wasser vor Ort entnommen und durch Pestizid- und Nährstoffeinträge für den
Anbau ebenfalls lokal belastet. Konsumiert werde das Gemüse aber
überwiegend in weit entfernten Regionen. „Wenn man das Grundwasserproblem
in Südspanien verstehen und lösen will, muss man es vom anderen Ende her
mitdenken. Dieses andere Ende ist der Export, auch in deutsche
Supermärkte. Das Grundwasserproblem mag deshalb lokal auftreten, wird aber
überregional verursacht“, so der ISOE-Forscher.
Perspektive auf Einzugsgebiete zu eng
Die Forschungsgruppe hat in einer Publikation im Fachmagazin „Water“
gezeigt, wo der Paradigmenwechsel wissenschaftlich und wirtschaftlich
konkret ansetzen könnte: Bisher fallen Grundwasserkörper per Definition in
Flusseinzugsgebiete, die im Sinne des Integrierten Wasserressourcen-
Managements (IWRM) als regionale Bewirtschaftungseinheiten verstanden
werden. „Die herkömmliche Perspektive auf Einzugsgebiete wird den
komplexen Zusammenhängen, die auf die Grundwasservorkommen wirken, nicht
gerecht“, sagt Robert Lütkemeier und nennt Beispiele dafür. „Zum einen
überschreiten Fernwasserleitungen die hydrologischen Grenzen einer
Bewirtschaftungseinheit. Zum anderen gibt es äußere Einflüsse auf diese
regionalen Vorkommen.“ Dazu zählten etwa saisonale Verbrauchsspitzen, die
durch Touristenströme verursacht werden, oder das sogenannte virtuelle
Wasser, das für den regionalen Anbau von Export-Gemüse fließt.
Nachhaltige Grundwasserbewirtschaftung: Das Verborgene sichtbar machen
Die tatsächlichen, auch aus der Ferne wirkenden und zeitlich oft
verzögerten Auswirkungen auf das Grundwasser seien für eine nachhaltige
Bewirtschaftung zentral und nur zu verstehen, wenn Forschung, Wirtschaft
und Politik den Blick auch auf die vermeintlich „unsichtbaren“
Zusammenhänge werfen. „Häufig wird Grundwasser erst ‚sichtbar‘, wenn sich
eine Krise anbahnt, etwa durch eine steigende Anzahl von Anträgen für
Brunnenbohrungen, erste Anzeichen für Trockenschäden in Wäldern oder
trockenfallende Förderbrunnen der Wasserversorger“, mahnt Wasserforscher
Lütkemeier. Wichtig sei es deshalb, die kontinuierliche Beobachtung von
Grundwasserkörpern auszubauen. Konkret sollten in der EU-
Grundwasserrichtlinie künftig auch Kriterien zur Bewertung des
ökologischen Zustands von Grundwasserkörpern mit aufgenommen werden. In
regulate forschen Fanny Frick-Trzebitzky und Robert Lütkemeier mit ihrem
Team unter anderem dazu, wie entsprechende Kriterien dafür aussehen könnten.
Über die Forschungsgruppe regulate
Die Nachwuchsgruppe „regulate – Regulation von Grundwasser in
telegekoppelten sozial-ökologischen Systemen“ unter der Leitung des ISOE –
Institut für sozial-ökologische Forschung Frankfurt in Kooperation mit der
Goethe-Universität Frankfurt und der Universität Koblenz-Landau wird vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Programm „Forschung
für nachhaltige Entwicklungen (FONA)“ gefördert. regulate ist darin Teil
der Fördermaßnahme „SÖF – Sozial-ökologische Forschung“ im Förderbereich
„Nachwuchsgruppen in der Sozial-ökologischen Forschung“.
Originalpublikation:
Lütkemeier, Robert/Fanny Frick-Trzebitzky/Dženeta Hodžic/Anna Jäger/David
Kuhn/Linda Söller (2021): Telecoupled Groundwaters: New Ways to
Investigate Increasingly De-Localized Resources. Water 13 (20), 2906 doi.org/10.3390/w13202906
Weitere Informationen finden Sie unter:
https://www.isoe.de/nc/forschung/projekte/project/regulate/
https://regulate-project.eu/
ISOE - Institut für sozial-ökologische Forschung
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