02.02.2022
Nördlinger Ries: Vier Jahrtausende Kulturgeschichte
Vier Jahrtausende Kulturgeschichte am Westrand des Nördlinger Rieses zu rekonstruieren – dieses ehrgeizige Ziel hat sich Prof. Rüdiger Krause,
Archäologe an der Goethe-Universität, mit einem neuen Projekt gesetzt. Im Fokus der Forschung, die von einer regionalen Stiftung gefördert wird,
steht die Gegend um den Ipf, die als Schauplatz wichtiger Ereignisse eine bedeutende Rolle gespielt hat.
Im 6./5. Jahrhundert vor Chr. schufen die frühkeltischen Eliten
nördlich der Alpen bedeutende Machtzentren. Eines davon befand sich im
östlichen Allgäu: Auf dem Berg Ipf am Nördlinger Ries war einer der
Fürstensitze errichtet worden. Von hier aus pflegte man die Kontakte zum
mediterranen Süden des griechisch-etruskischen Italien. Die Besiedlung des
Ipf reicht jedoch noch viel weiter zurück. In der späten Bronzezeit um
1000 v. Chr. entstand auf der weithin sichtbaren Erhebung im Osten der
Schwäbischen Alb eine mächtige Befestigungsanlage.
Seit mehr als 20 Jahren erforscht Prof. Rüdiger Krause vom Institut für
Archäologische Wissenschaften der Goethe-Universität die Kulturgeschichte
des Ipf. Nun will der Prähistoriker zusammen mit der Archäobotanikerin
Prof. Astrid Stobbe die Entwicklung von Kulturlandschaft und Ökosystem vom
3. Jahrtausend v. Chr. bis in die Neuzeit neu bewerten und die
Vergangenheit der Region rekonstruieren. Gefördert wird das Vorhaben von
der Stiftung Kessler + Co für Bildung und Kultur mit Sitz in Abtsgmünd.
Die Idee für das Projekt erwuchs aus Rüdiger Krauses langjährigen
Forschungen zum frühkeltischen Fürstensitz auf dem Ipf und im Umfeld des
imposanten Berges, wo er und sein Team seit 1995 umfangreiche
archäologische Ausgrabungen sowie naturwissenschaftliche Analysen
durchgeführt haben. Aus zwei DFG-Schwerpunktprogrammen und mehreren,
ebenfalls von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten
Einzelprojekten stehen archäologische, archäobotanische, geomorphologische
und andere Daten zur Verfügung. Die Archäobotanikerin Prof. Astrid Stobbe
konnte mit ihren vegetationsgeschichtlichen Untersuchungen zeigen, wie
sich die Kulturlandschaft unter dem Einfluss des Menschen und seiner
Nutztiere verändert hat. So belegten pollenanalytische Daten aus
Vermoorungen eine deutliche Entwaldung und eine zunehmende Nutzung der
Landschaft seit der späten Bronzezeit.
Das neue Projekt soll diese Daten nun in einer Gesamtschau zusammenführen,
offene Fragen sollen durch neue Analysen geklärt werden – zum Beispiel
durch die zusätzliche Erschließung naturwissenschaftlicher „Archive“ wie
Ablagerungen in Moor- und Sumpflandschaften. Standen bisher der Westrand
des Nördlinger Rieses am Ipf und der Ohrenberg im Zentrum der
Untersuchungen, soll nun auch das Kartäusertal am Südrand des Rieses
einbezogen werden. „Damit decken wir drei unterschiedlichen Naturräume ab
von der Riesebene über die Riesrandhöhen mit dem Ipf bis auf die
Hochfläche der östlichen Schwäbischen Alb“, erklärt Prof. Krause. Diese
Regionen zeichnet sich durch archäologische Denkmäler von der Steinzeit
bis zum Spätmittelalter aus. Prägend für das Kartäusertal sind die
Grabhügel in den Wäldern und der Weiherberg mit seinen Befestigungen und
einem Brandopferplatz aus der Bronze- und älteren Eisenzeit. Aus
karolingischer Zeit um 800 n. Chr. sind etliche Orte durch Quellen
überliefert. „Sehr spannend könnte das ehemalige Schlachtfeld auf dem
nördlich gelegenen Albuch werden, wo 1634 die berühmte Schlacht von
Nördlingen stattfand, in deren Folge einige Dörfer und ihre
Wirtschaftsflächen für lange Zeit wüst fielen“, sagt der Archäologe.
„Wir wollen in einer Synthese große Datenmengen zusammenführen und die
Entwicklung des Kulturraums in einer diachronen Perspektive von der
Bronzezeit bis in das Mittelalter historisch neu bewerten“, formuliert
Krause. „Die Förderung durch die Kessler + Co Stiftung ist eine
Riesenchance, ein so umfangreiches Vorhaben anzugehen“, ergänzt
Mitantragstellerin Stobbe. Das Projekt wird zunächst für zwei Jahre mit
170.000 Euro gefördert – mit Aussicht auf Verlängerung. Im Rahmen des
Projekts sollen mehrere Abschlussarbeiten und eine Dissertation entstehen.
Der Projekttitel lautet: „Sozioökonomie und Kulturlandschaft am
Fürstensitz auf dem Ipf. Eine archäologisch-naturwissenschaftliche Studie am Westrand des Nördlinger Rieses“.
„Wir glauben an den hohen Nutzen vielfältiger privater Initiativen für
unsere Gesellschaft“, so der Diplomphysiker Gerhard Grimminger,
Stiftungsratsmitglied und Geschäftsführer der Kessler-Werke. Die Stiftung
Kessler + Co für Bildung und Kultur engagiert sich vor allem in der Region
Ostalb und Schwäbische Alb in Baden-Württemberg. Sie fördert Bildung,
Ausbildung und Erziehung einerseits, andererseits die Pflege der Kulturlandschaft der Schwäbischen Alb.
https://www.stiftung-kessler-co.de
https://www.uni-frankfurt.de/112190931
Goethe-Universität Frankfurt am Main
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