16.01.2022
Aus klimaschädlichem CO2 werden nützliche Chemikalien
Aus Kohlenstoffdioxid wichtige Ausgangsmaterialien für Feinchemikalien machen – das funktioniert tatsächlich: Einem Forscherteam des Fraunhofer IGB ist es im Max-Planck-Kooperationsprojekt eBioCO2n erstmals gelungen, CO2 in einer auf dem Transfer von Elektronen basierenden Enzymkaskade zu fixieren und in einen festen Ausgangsstoff für die chemische Industrie umzuwandeln.
Das Verfahren zur elektrobiokatalytischen CO2-Fixierung wurde bereits publiziert und gilt als »Hot Paper«.
Durch die Verbrennung von fossilen Rohstoffen entsteht klimaschädliches
Kohlenstoffdioxid, das als Treibhausgas eine große Rolle bei der
Erderwärmung spielt. Dennoch ist Erdöl aktuell immer noch einer der
wichtigsten Rohstoffe – nicht nur als Energieträger, sondern auch als
Ausgangsmaterial für die chemische Industrie und damit für zahlreiche
Dinge unseres Alltags, wie Medikamente, Verpackungen, Textilien,
Reinigungsmittel und mehr. An verschiedenen Alternativen für fossile
Quellen wird daher intensiv geforscht.
Nachwachsende Rohstoffe sind eine zukunftsträchtige Möglichkeit, aber
nicht die einzige alternative Rohstoffbasis, um die Verfügbarkeit von
grünen Syntheseprodukten in den nächsten Jahren abdecken zu können. Eine
nachhaltige Ergänzung hierzu im Sinne einer kreislauforientierten
Kohlenstoffwirtschaft ist die Möglichkeit, CO2 gezielt und unter milden Reaktionsbedingungen zu fixieren.
Abscheidung aus der Luft für weniger CO2-Emissionen
Einem Forscherteam am Straubinger Institutsteil des Fraunhofer-Instituts
für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB ist es nun gemeinsam mit
Kolleginnen und Kollegen des Max-Planck-Instituts für terrestrische
Mikrobiologie in Marburg und der TU München erstmals gelungen, CO2
elektrobiokatalytisch in wertvolle Substanzen für die chemische Industrie
umzuwandeln. Durch Kombination verschiedener Ansätze aus Bioelektrochemie,
Enzymbiologie und synthetischer Biologie wurden hierfür spezielle
Bioelektroden entwickelt, um mit Strom aus erneuerbarer Energie Enzyme
anzutreiben, die in einer gekoppelten Reaktion ähnlich der Photosynthese
feste organische Moleküle aus dem Treibhausgas herstellen.
Ziel ist es, damit CO2 direkt aus der Luft abzuscheiden: »Das Verfahren
könnte dann nicht nur dazu beitragen, dass die Industrie auf fossile
Rohstoffe verzichten kann, sondern durch die CO2-Reduktion die Klimawende
außerdem aktiv vorantreiben«, erklärt Dr. Michael Richter, Leiter des
Innovationsfelds Bioinspirierte Chemie am Fraunhofer IGB. »Zunächst ging
es uns jedoch darum zu zeigen, dass unsere Idee überhaupt funktioniert,
eine solch komplexe biokatalytische Multienzym-Reaktion auf diese Art mit Strom anzutreiben.«
Hydrogel transportiert Elektronen für CO2-fixierende Enzyme
Mit Erfolg: Die Forschenden haben sich vom Stoffwechsel der
Mikroorganismen inspirieren lassen und ein strombasiertes Verfahren für
die CO2-Fixierung entwickelt. Hauptakteure sind CO2 fixierende Enzyme, die
von den Kollegen Dr. David Adam und Prof. Tobias Erb, Direktor am MPI in
Marburg, entwickelt wurden. Eine Herausforderung bestand nun darin, die
CO2-fixierenden Enzyme kontinuierlich mit den für die Reduktion von CO2
benötigten Elektronen zu versorgen, die regenerativer Strom liefern kann.
Dies gelang durch Einbettung der Enzyme in ein redoxaktives Hydrogel,
wodurch sie elektrochemisch so angetrieben werden können, dass sie
Kohlenstoffdioxid an ein Substrat binden und damit in einen wertvollen
Zwischenstoff umwandeln. »Das Verfahren ist ein sehr effizienter
Reaktionsweg, eine reduktive Carboxylierung, die sehr ökonomisch und
sauber abläuft, weil man keine weiteren Substanzen im System braucht –
lediglich Kohlenstoffdioxid, Substrat und Elektronen, bevorzugt aus
erneuerbaren Quellen«, erläutert Dr. Leonardo Castañeda-Losada, der in
seiner Doktorarbeit auf dem Gebiet der Elektrobiokatalyse forschte und nun
am Fraunhofer IGB gemeinsam mit Dr. Melanie Iwanow und Dr. Steffen Roth im Projekt arbeitet.
Die an der TU München am Lehrstuhl von Prof. Nicolas Plumeré eigens
entwickelten Hydrogele, in denen die Enzyme ihre Arbeit verrichten, sind
so modifiziert, dass sie Elektronen gut leiten und den Biomolekülen
gleichzeitig optimale Arbeitsbedingungen bieten. »So können wir nicht nur
Monolagen an Enzymen einsetzen, sondern dies auch dreidimensional um ein
Vielfaches erweitern, da die Elektronen im Gel an jeden Ort geleitet
werden. Das sind gute Voraussetzungen für eine zukünftige Skalierung des
Verfahrens für die chemische Industrie«, verdeutlicht Prof. Volker Sieber,
der am Straubinger Institutsteil des Fraunhofer IGB schon lange Strategien
zur CO2-Speicherung verfolgt.
Cofaktoren werden gleichzeitig permanent regeneriert
Der völlig neue Ansatz der Forschenden beruht aber nicht nur auf der
Tatsache, dass eine enzymatische Reaktionssequenz erfolgreich mit Strom
angetrieben werden kann, sondern beinhaltet auch ein weiteres äußerst
innovatives Modul: Damit die Reaktionen wie gewünscht ablaufen und am Ende
eine möglichst hohe Produktausbeute steht, braucht es in dem Fall eine
kontinuierliche Zufuhr an »Doping« fürs Enzym: die passenden und
funktionalen Cofaktoren. Diese kleinen, organischen Moleküle werden im
Lauf jeder einzelnen Reaktion verbraucht und müssen regeneriert werden, um
wieder einsatzfähig zu sein. Sie in großen Mengen neu bereitzustellen, ist
sehr teuer und damit für die Industrie unwirtschaftlich. Deshalb haben die
eBioCO2n-Experten eine Möglichkeit gefunden, um sie mithilfe von Strom
innerhalb des gleichen Reaktionssystems in den Hydrogelen wieder erneuern
zu können – theoretisch unendlich lange. »Eigentlich müsste man nur ein
einziges Mal Cofaktor ins System geben, und dieser würde dann immer wieder
automatisch regeneriert. Aber in der Praxis funktioniert das nur annähernd
so gut, weil der Cofaktor nicht unendlich lange stabil bleibt – aber
durchaus schon sehr lange«, sagt Richter.
Für den bioelektrokatalytischen Recyclingprozess der Cofaktoren steht den
Forschenden sogar ein ganzer Werkzeugkasten an unterschiedlichen Enzymen
zur Verfügung, die sie aus verschiedenen Organismen aufgespürt haben. So
ist das Spektrum dieser Biomoleküle für weitere Arbeiten je nach Anwendung
modulartig erweiterbar und als Plattformsystem verwendbar. »Man kann aus
bioinformatischen Datenbanken praktisch beliebig Enzyme auswählen, diese
biotechnologisch herstellen und in die Hydrogele einbauen«, sagt Richter.
»So wäre die Herstellung verschiedener biobasierter Feinchemikalien
denkbar, die man bei entsprechendem Ausbau über weitere Enzymkaskaden
praktisch nach Bedarf diversifizieren könnte.“« Hier bringt inbesondere
das Marburger MPI seine Expertise ein. Gelingt dies in einer
entsprechenden Skalierung, könnte die Plattformtechnologie ein
zukunftsträchtiges Geschäftsmodell für die chemische Industrie werden.
Plattformsystem soll beliebig erweiter- und skalierbar werden
Mithilfe der bioinspirierten CO2-Fixierung aus dem Labor konnte man am
Fraunhofer IGB ein Coenzym-A-Derivat carboxylieren, ein für viele
Stoffwechselvorgänge in Lebewesen wichtiges Biomolekül. »Hierbei handelt
es sich um das bislang anspruchsvollste Molekül, an das auf
biokatalytischem Weg CO2 fixiert werden konnte«, so Richter. »Das ist bei
weitem nicht selbstverständlich, eine so große und strukturell
anspruchsvolle Substanz mit dieser Technologie zu modifizieren.« Nun steht
für die Forschenden die letzte Herausforderung an: zu beweisen, dass ihre
Idee zuverlässig und skalierbar funktioniert sowie modular erweitert
werden kann. Am IGB ist man jedoch optimistisch, vor allem auch vor dem
Hintergrund eines gut funktionierenden interdisziplinären Teams, wie der
Wissenschaftler betont. In Folgeprojekten sollen dann auch möglichst
schnell Industriepartner mit einbezogen werden.
Weitere Informationen zum Projekt
Das Projekt wird unter dem Titel »eBioCO2n – Stromgetriebene
CO2-Konversion durch synthetische Enzymkaskaden zur Herstellung von
Spezialchemikalien« geführt und im Rahmen des Fraunhofer-Max-Planck-
Kooperationsprogramms von Januar 2019 bis Dezember 2022 gefördert.
Teile der Arbeiten wurden zudem über das ERC Starting Grant Redox SHields
(715900) und das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft und Medien,
Energie und Technologie im Rahmen des Projekts »Zentrum für Energiespeicherung« finanziert.
http://www.igb.fraunhofer.de/de/referenzprojekte/ebioco2n.html
Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB
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