04.01.2022
Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae ist Mikrobe des Jahres 2022
Wenn zu Jahresbeginn die Sektkorken knallen, ist die Mikrobe des Jahres 2022 beteiligt: Die Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae produziert neben
Wein – der Grundlage von Sekt – und Bier auch Kuchen und Brot. Hefen sind winzige Einzeller und zählen zu den Mikroben, auch wenn sie – anders als
Bakterien – einen Zellkern besitzen (Eukaryoten).
Diese Verwandtschaft mit Menschen macht sie zu einem idealen Forschungsobjekt. Als kleine
„Zellfabriken“ stellen sie Medikamente und Rohstoffe in industriellem
Maßstab her. Diesen für unseren Genuss und nachhaltige Produktion
bedeutenden Mikroorganismus wählte die Vereinigung für Allgemeine und
Angewandte Mikrobiologie (VAAM) zur Mikrobe des Jahres 2022.
"Zuckerpilz des Bieres" bedeutet der lateinische Name Saccharomyces
cerevisiae. Die Mikrobe des Jahres 2022 ist ein großer Braumeister, obwohl
sie so winzig ist, dass zehn ihrer Zellen gestapelt gerade mal die Dicke
von Papier erreichen. Sichtbar wurde die Brauhefe erst mit der Erfindung
des Lichtmikroskops (1680) in Form vieler kleiner Teilchen, die das Bier
trübe machen. Es dauerte fast 200 weitere Jahre, bis Louis Pasteur lebende
Hefezellen als Ursache für die alkoholische Gärung erkannte.
Natürlicherweise ernähren sich Hefezellen von Zuckerverbindungen aus
Blättern und Früchten. Sie bauen Glukose oder Fruktose zu Kohlendioxid-
Bläschen (CO₂) und dem Alkohol Ethanol ab. Der Alkohol verschafft der Hefe
einen Vorteil: Er tötet konkurrierende Mikroorganismen. Hat die Hefe den
Zucker vernascht, kann sie den selbst produzierten Ethanol weiter abbauen.
Die Hefefermentation nutzen die Menschen seit Jahrtausenden: Schon die
alten Ägypter stellten eine Art Bier her. In früheren Jahrhunderten war
dies ein Getränk selbst für Kinder, weil es viel keimärmer war als das
häufig verschmutzte Wasser. Auch Wein und Sake beruhen auf der
Gärtätigkeit von Hefe. Zur Schaumbildung beim Sekt wird in der zweiten
Gärung eine Hefevariante (Saccharomyces bayanus) eingesetzt, die auf drei
verschiedene Hefen zurückgeht, darunter die Bäckerhefe.
Backtriebmittel
Auch im Kuchenteig produzieren die einzelligen Hefepilze Kohlendioxid-
Bläschen: Mehl besteht aus verknüpften Zuckern (Kohlenhydraten), die
Saccharoymces cerevisiae zu CO₂ umsetzt. Durch kräftiges Kneten verteilen
sich die Hefezellen im Teig; leichte Wärme regt ihren Stoffwechsel und
ihre Vermehrung an. Die entstehenden Bläschen lassen den Hefeteig locker
werden – er geht auf.
Bäckereien, Brauereien, Wein- und Sektkellereien verwenden eine Vielzahl
unterschiedlicher Hefestämme und -arten. Im für Brot verwendeten Sauerteig
unterstützen Milchsäurebakterien die Hefe. Die genaue Zusammensetzung und
ihre Einsatzbedingungen sind häufig gut gehütete Betriebsgeheimnisse.
Biotechnologischer Modellorganismus für Medikamente und nachhaltige Rohstoffe
Saccharomyces cerevisiae war der erste eukaryotische Organismus mit
vollständig sequenziertem Genom. Heute gibt es Stammsammlungen, in denen
jedes einzelne der ca. 6.300 Hefegene veränderbar ist. Am Modellorganismus
Bäckerhefe lässt sich vergleichsweise einfach der grundlegende Aufbau und
die Funktion eukaryotischer Zellen untersuchen, denn Hefezellen sind
ähnlich aufgebaut wie menschliche Zellen.
Hefezellen dienen auch als zelluläre Fabrik. Davon profitieren
beispielsweise Diabetiker seit Jahrzehnten: In das Hefegenom wurde das
menschliche Insulin-Gen „eingepflanzt“, sodass dieser winzige Organismus
einen Großteil des menschlichen Hormons für die Diabetestherapie
produziert. Forscherteams versetzten die Hefe zudem mit Hilfe von Genen
aus Pilzen und Bakterien in die Lage, natürliche Zucker aus Holz (Xylose)
in Ethanol umzuwandeln. Damit können pflanzliche Abfallstoffe heute als
Rohstoff und Energiequelle dienen. Veränderte Hefezellen können auch
Bernsteinsäure herstellen, einen Baustein zur industriellen Herstellung
von Polyester. Der Malaria-Wirkstoff Artemisinin (2015 mit dem Nobelpreis
ausgezeichnet) wird durch eine ausgefeilte „Umleitung“ des Hefe-
Stoffwechsel produziert. Dieser Prozess diente auch als Ausgangsbasis für
die Herstellung des chemisch verwandten Ersatz-Flugzeugkraftstoffs Farnesen.
Eine wichtige Rolle für die Biotechnologie spielt eine Eigenschaft, die
Hefen wie alle Eukaryoten auszeichnet: Sie besitzen membranumschlossene
Organellen, die eine räumliche Trennung verschiedener biochemischer
Prozesse erlauben. Damit lassen sich beispielsweise giftige Zwischenstufen
innerhalb der Zelle abtrennen. So ist es Forschenden kürzlich gelungen,
Enzyme für die Vorstufe von Nylon in bläschenartige Vesikel zu
„verpacken“. Das zeigt beispielhaft, wie die Arbeitsteilung in der Zelle
durch neue Reaktionsräume optimiert werden kann. Saccharomyces cerevisiae
wird bei der gesellschaftlichen Transformation zu nachhaltigeren Wirtschaftsformen eine wichtige Rolle spielen.
https://microbeoftheyear.org/
https://www.vbio.de/
http://mikrobe-des-jahres.de
Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland e.V.
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