16.09.2021
Mülltrennung ist für Verbraucherinnen und Verbraucher zu kompliziert geworden
Neues Verpackungsgesetz reicht nicht: Marketingexpertin fordert in einem Statement clevere Aufklärung und sinnvolle Innovationen zugunsten höherer Recyclingquoten.
Der Verpackungsmüll in Deutschland nimmt stetig zu. Dieser Negativtrend
wurde durch die Lockdown-Phasen mit Zunahme an Lieferdienst-Essen in der
Corona-Pandemie noch verstärkt. Am 3. Juli 2021 trat das neue
Verpackungsgesetz 2 in Kraft. Es soll die Abfalltrennung verbessern und
schreibt u.a. Herstellern und Handel für einige Verpackungen einen
Mindestanteil an Rezyklat, also Kunststoff aus wiederverwertetem
Plastikmüll vor.
Prof. Dr. Erika Graf, Marketingexpertin und Dozentin für Vertrieb und
Nachhaltigkeit an der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt
UAS), nimmt das neue Gesetz zum Anlass, eine bessere Aufklärung der
Verbraucher/-innen anzumahnen. „Die Mülltrennung ist zu kompliziert
geworden“, sagt die Wissenschaftlerin. Sie fordert einfachere, clevere
Hinweise für die Bürger/-innen und bundesweit einheitliche Regelungen.
Zudem hält sie nicht alle Verpackungsinnovationen für sinnvoll.
„Abfallanalysten bemängeln, dass etwa die Hälfte dessen, was an
Verpackungen im gelben Sack oder in der gelben Tonne landet, nicht dort
hingehört. Das erschwert das Recycling und hat zur Folge, dass verwertbare
Kunststoffe am Ende verbrannt werden“, so Graf. Den Grund dafür sieht sie
in uneinheitlichen Vorgaben und unzulänglichen Hinweisen. „Besonders bei
Kunststoff-Verpackungen gibt es einiges zu beachten: Wohin gehören
Flaschenverschlüsse, Frischhaltefolie etc.? Können Zahnbürsten oder
Kinderspielzeug aus Plastik, Töpfe, Werkzeug, Besteck, Schrauben auch im
gelben Sack entsorgt werden oder nur Verpackungen mit dem ,grünen Punkt‘?“
Da dies Sache der Kommunen und Entsorgungsbetriebe ist, gibt es regionale
Unterschiede. In einzelnen Städten dürfen auch ,stoffgleiche
Nichtverpackungen‘ in die gelben Behältnisse eingeworfen werden, somit
auch die Plastikzahnbürste.
Die Marketingexpertin nennt weitere Fallstricke: „Bei Joghurtbechern ist
die Alufolie vom Becher vollständig abzureißen, die Alufolie sollte aber
nicht wieder eingesteckt werden. Neu sind auch die sogenannten Drei-
Komponenten-Becher, bei denen der Becher aus dünnem, weißem Kunststoff zur
Stabilität und zur Bedruckung noch mit einer Papierbanderole versehen ist.
Diese muss man gesondert im Papiermüll entsorgen.“
Mit dem neuen Verpackungsgesetz werden Regelungen verschärft und
harmonisiert. Das schafft einheitliche Wettbewerbsbedingungen, und
Investitionen in Forschung und Entwicklung können langfristig geplant
werden. „Unternehmen müssen sich keine Sorgen machen, dass sie sich durch
die höheren Kosten durch die Verwendung von recyceltem Material einen
Nachteil einhandeln“, sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin. Denn die
Nutzung recycelter Materialien wie Rezyklat ist bislang teurer. Das liegt
einerseits an den niedrigen Kosten für die Müllverbrennung (thermische
Verwertung) sowie den günstigen Preisen für die Herstellung von neuen Verpackungen.
Mit der Gesetzesnovelle soll die Recyclingquote für Kunststoffverpackungen
von bisher 36 Prozent auf 63 Prozent bis zum Jahr 2022 steigen – bei
Verpackungen aus Metall, Glas und Papier sogar auf 90 Prozent. Graf
verweist darauf, dass die Deutschen in der Mülltrennung schon jetzt weit
fortgeschritten sind. Im europäischen Vergleich produziert Deutschland
zwar überdurchschnittlich viel Müll pro Kopf, hat aber laut der
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit
68 Prozent die höchste Recycling- und Kompostierungsquote (2017). Auch
weltweit ist die Bundesrepublik führend im Recycling.
„Aber klar ist, vor der Mülltrennung steht die Müllvermeidung, und da sind
alle gefragt: Die Industrie und Gastronomie müssen über Alternativen
nachdenken, und die Kundschaft muss diese annehmen“, so Graf. „Das ist
nicht immer einfach. Beispiel Pizzabow, eine Mehrwegverpackung für Pizza:
Die Pizza wird ohne Karton in Mehrwegschalen geliefert. Der Lieferservice
nimmt die Schale direkt wieder mit. Es bleibt nur die Pizza auf kleinem
Papptablett. Der Nachteil: Der Pizzabote oder die -botin braucht mehr Zeit
bei der Lieferung und bekommt dafür nicht mehr Geld.“
Das neue Verpackungsgesetz fordert ab 2023 Caterer, Lieferdienste und
Restaurants auf, neben Einweg- auch Mehrwegbehälter für Essen und Getränke
zum Mitnehmen anzubieten. Diese dürfen dann nicht teurer sein als die
Einwegpackungen. „Mehrwegbehälter sind keine Lösungen für den Verzehr
unterwegs“, wendet Graf ein. „Das ist ein Problem auch bei den viel
zitierten To-go-Bechern. Wer auf der Durchreise am Bahnhof einen Kaffee
mitnehmen möchte, will nicht gleich Mitglied in einem lokalen Pfandsystem werden.“
Innovationen sind also gefragt. „Im Angebot finden sich seit kurzem
Verpackungen, die biobasiert oder biologisch abbaubar sind. Die
Herausforderung ist, dass beim Transport oder im Handel die Verpackung
stabil bleiben, aber bei der Kompostierung schnell zerfallen muss. Vieles,
was es gibt, zersetzt sich zwar, aber es dauert, und bei einigen Lösungen
bleibt Mikroplastik zurück. Gehört es dann in die Biotonne, in den gelben
Sack oder in den Restmüll?“
Grafs Fazit: „Vielversprechende Lösungen sind in der Entwicklung. Hier
sollten Verbraucherinnen und Verbraucher nicht überfordert werden, sondern
mit einfachen Hinweisen, cleveren Denkanstößen und einheitlichen Regelungen unterstützt werden.“
Frankfurt University of Applied Sciences
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