18.02.2021
Wohnort Plastikmüll: Neue Biodiversität in der Tiefsee
Ein internationales Forscherteam findet einen neuen Hotspot der
Biodiversität – und zwar ausgerechnet im Plastikmüll, der sich seit
Jahrzehnten in den Tiefseegräben der Erde ansammelt.
An der Bestimmung der Müllbewohner war auch der SNSB-Zoologe Bernhard Ruthensteiner beteiligt.
Ihre Erkenntnisse veröffentlichten die Wissenschaftler*innen kürzlich in
der zoologischen Fachzeitschrift Environmental Science & Technology Letters.
Plastikmüll in den Ozeanen der Erde sammelt sich auch in der Tiefsee und
gefährdet die dort lebenden Organismen. Forscher berichten, dass sich
Anhäufungen von größeren Plastikteilen über Jahrzehnte hinweg sogar in
Tiefseegräben finden. Laut einer neuen Studie entwickelt sich in den
untermeerischen Müllansammlungen allerdings ein artenreiches Ökosystem.
Die Wissenschaftler*innen sprechen von einem „neuen Hotspot der
Biodiversität“.
Ein internationales Forscherteam um Xikun Song von der Universität Xiamen
in China, ehemaliger Gastwissenschaftler an der Zoologischen
Staatssammlung München (SNSB-ZSM) hat nun unter anderem Plastikmüll in
einem Tiefseegraben im Südchinesischen Meer mit Hilfe eines bemannten
Tauchboots untersucht. In einer Tiefe von 1.700-3.200 m lagern dort rund
52.000 Plastikteile pro Quadratkilometer.
Den Forscher*innen gelang es insgesamt 33 Plastikstücke aus Tiefen bis zu
3.200 m vom Meeresboden an die Oberfläche zu befördern. Interessant für
die Zoolog*innen war aber nicht der Müll an sich, sondern die insgesamt
fast 1.200 Organismen, die offensichtlich auf und in den
Lebensmittelverpackungen, Tüten oder Flaschen lebten.
Im Gegensatz zu bisherigen Studien zu Tiefseeplastik wurde hier eine
genaue Erfassung der assoziierten Fauna vorgenommen. Zur Bestimmung wurden
unter anderem modernste molekularbiologische und bildgebende Methoden
herangezogen. Hierbei war auch der Münchner Zoologe Bernhard
Ruthensteiner, Kurator an der Zoologischen Staatssammlung München (SNSB-
ZSM), beteiligt – bestimmte Organismengruppen konnten insbesondere mit
Hilfe von Mikro-Computertomographischen 3D Rekonstruktionen identifiziert
werden. Insgesamt fanden die Forscher*innen 49 Arten von auf dem
Meeresboden lebenden Organismen. Darunter waren etliche festsitzend
lebende Tiere wie Pilze, Korallen oder Seepocken, aber auch freilebende
parasitische Flachwürmer und Schnecken. Häufigste Bewohner waren die
festsitzenden Polypen von Schirmquallen (Scyphozoa) sowie zumeist noch
nicht ausgewachsene Armfüßer (Brachiopoden), das sind Schalentiere, die
äußerlich den Muscheln ähneln. „Die Formenfülle aber auch die
Individuendichte auf einzelnen Stücken hat uns überrascht. Auffallend
häufig waren Reproduktionsstadien wie Schneckeneier oder die
Bildungsstadien von Quallen“, erklärt Bernhard Ruthensteiner.
Die Forscher*innen vermuten, dass die Ansammlungen von Plastikmüll in der
Tiefsee die Ausbreitung bestimmter Meeresorganismen fördern und damit auch
zu Veränderungen in Meeresökosystemen führen können.
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1021/acs.estlett.0c00967
Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.snsb.de - Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns (SNSB)
http://www.zsm.mwn.de - Zoologische Staatssammlung München (SNSB-ZSM)
Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns
.