31.01.2021
Das Nano-Chamäleon: Ein neuer Super-Winzling unter den Reptilien
Ein internationales Team unter Leitung der Zoologischen Staatssammlung
München (SNSB-ZSM) hat eine winzige neue Chamäleonart entdeckt. Das
einzige bekannte, offensichtlich erwachsene Männchen hat eine Körperlänge
von nur 13,5 mm und ist damit das kleinste bekannte Männchen unter den fast 11.500 bekannten Reptilienarten.
Ein Vergleich mit 51 anderen Chamäleonarten ergab, dass die kleinsten Spezies relativ zur Körpergröße
die größten Genitalien aufweisen. Die Arbeit erschien heute in dem
wissenschaftlichen Fachjournal Scientific Reports.
Bei einer Expedition im Norden Madagaskars hat ein deutsch-madagassisches
Expeditionsteam rekordverdächtig kleine Reptilien entdeckt, die nun als
neue Art (Brookesia nana) beschrieben wurden. "Mit einer Körperlänge von
nur 13,5 mm und einer Gesamtlänge von knapp 22 mm ist das Männchen des
Nano-Chamäleons das kleinste bekannte Männchen unter allen höheren
Wirbeltieren", sagt Frank Glaw von der Zoologischen Staatssammlung München
(SNSB-ZSM) und Erstautor der Studie. Das Weibchen ist mit 19 mm
Körperlänge und 29 mm Gesamtlänge deutlich größer. Trotz großer Mühe
gelang es nicht, weitere Exemplare der neuen Art zu finden.
"Mit Hilfe von Mikro-CT-Scans fanden wir zwei Eier im Körper des Weibchens
und konnten so zeigen, dass es erwachsen ist", sagt Mark D. Scherz von der
Universität Potsdam. Um herauszufinden, ob auch das Männchen
geschlechtsreif ist, untersuchte das Team die gut entwickelten Genitalien
des Tieres, die sogenannten Hemipenes, die bei allen Echsen und Schlangen
doppelt vorhanden sind und oft wichtige Merkmale aufweisen, um verwandte
Arten zu unterscheiden. Dabei verglichen die Forscher auch die Länge
seiner Genitalien mit 51 anderen Chamäleonarten aus Madagaskar und
entdeckten die Tendenz, dass die kleinsten Chamäleonspezies im Verhältnis
zur Körpergröße die größten männlichen Genitalien hatten. Beim Nano-
Chamäleon betrug deren Länge 18,5% der Körperlänge und damit den
fünfthöchsten Wert von allen untersuchten Chamäleonarten, bei der
ebenfalls sehr kleinen Art B. tuberculata machten die Genitalien sogar
fast ein Drittel der Körperlänge aus.
Eine plausible Erklärung für dieses Phänomen könnte darin bestehen, dass
der Größenunterschied zwischen den Geschlechtern, der sogenannte
Geschlechtsdimorphismus, bei Chamäleons sehr unterschiedlich ausgeprägt
ist. Bei den größten Chamäleonarten sind die Männchen meist deutlich
größer als die Weibchen, bei den kleinsten Arten ist es hingegen genau
umgekehrt. "Demnach bräuchten die extrem miniaturisierten Männchen
verhältnismäßig größere Genitalien, um eine erfolgreiche Paarung mit ihren
deutlich größeren Weibchen zu ermöglichen", erklärt Miguel Vences von der
Technischen Universität Braunschweig.
"Auf Madagaskar leben auffällig viele extrem miniaturisierte Tiere,
darunter die kleinsten Primaten und winzige Zwergfrösche, die mehrfach
unabhängig voneinander entstanden sind" sagt Andolalao Rakotoarison, von
der Universität Antananarivo in Madagaskar. Aber warum das Nano-Chamäleon
so winzig ist, bleibt rätselhaft. "Der Inseleffekt, wonach Arten auf
kleinen Inseln kleiner werden, ist jedenfalls keine überzeugende Erklärung
für diesen Gebirgsbewohner" ergänzt ihre Kollegin Fanomezana Ratsoavina,
ebenfalls von der Universität Antananarivo.
"Der nächste Verwandte des neuen Zwergchamäleons ist auch nicht das nur
wenig größere Brookesia micra, sondern die fast doppelt so große Art B.
karchei, die im selben Gebirge vorkommt. Das zeigt, dass die extreme
Miniaturisierung konvergent entstanden ist", meint Jörn Köhler vom
Hessischen Landesmuseum in Darmstadt.
Die Verbreitungsgebiete der meisten Zwergchamäleons sind erstaunlich klein
und umfassen in Extremfällen eine Fläche von nur wenigen
Quadratkilometern. Ein kleines Verbreitungsareal ist daher auch für
Brookesia nana anzunehmen. "Der Lebensraum des Nano-Chamäleons ist leider
stark von Abholzung betroffen, aber das Gebiet wurde kürzlich unter Schutz
gestellt, so dass die Art hoffentlich überleben wird", meint Oliver
Hawlitschek, vom Centrum für Naturkunde in Hamburg, der an den
Felduntersuchungen beteiligt war.
Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns
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