15.12.2020
Wasserstoff: Weit mehr als ein Ersatztreibstoff
Wasserstoff kann - außer als Kraftstoff - zur Energiespeicherung, zum
Wärmen von Gebäuden und vielfältig in der Produktion verwendet werden. Zum
weitaus größten Teil wird er heute aus fossilem Erdgas gewonnen. Auch aus
Wasser kann er hergestellt werden. Ein großer Vorteil ist, dass er besser
gespeichert werden kann als Strom.
Der richtige Umgang mit ihm ist nicht problematischer als der mit Erdgas, Benzin und anderen Energieträgern.
Prof. Görge Deerberg (FernUniversität) sieht seine Potentiale jedoch
zunächst vor allem in der Industrie, denn er kann in vielen Anwendungen
fossiles Erdgas ersetzen: „Zukünftig wird er eine Schlüsselrolle bei der Erreichung der Klimaziele haben.“
Wenn es um Lösungen für Klima- und Nachhaltigkeitsprobleme geht, wird
immer wieder der Wasserstoff genannt. Die breite Öffentlichkeit sieht in
ihm vor allem eine umweltfreundliche Alternative zu Benzin und Diesel in
Fahrzeugen. Tatsächlich eignet er sich sehr gut als Alternative zu
fossilen Energieträgern, die das Klima erheblich und langfristig
schädigen. Dagegen entsteht bei seiner Verbrennung nur Wasser, keine
schädlichen Emissionen. Große Emissionsprobleme gibt es jedoch noch bei der Wasserstoffproduktion.
„Auf lange Sicht wird elektrolytisch hergestellter Wasserstoff aus
erneuerbarem Strom benötigt“, fordert daher Prof. Dr. Görge Deerberg.
„Dabei sind Kohlendioxid-Emissionen und das Tempo der Transformation zu
beachten, parallel muss der Anteil erneuerbarer Energien gesteigert
werden“, so der Inhaber der Fraunhofer-Professur Umweltwissenschaften an
der FernUniversität in Hagen weiter. Der stellvertretende Leiter des
Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (Fraunhofer
UMSICHT) in Oberhausen engagiert sich im Forschungsschwerpunkt Energie,
Umwelt & Nachhaltigkeit der FernUniversität.
Großes Potential in der Industrie
Wasserstoff (H2) kann - außer als Kraftstoff - zur Energiespeicherung, zum
Wärmen von Gebäuden und vielfältig in der Produktion verwendet werden. Zum
weitaus größten Teil wird er heute aus fossilem Erdgas gewonnen. Auch aus
Wasser kann er durch Elektrolyse hergestellt werden. Bereits vorhandene
Infrastrukturen für Erdgas sind zukünftig für den Transport nutzbar und
machen ihn vielerorts verfügbar. Ein großer Vorteil ist, dass er besser
gespeichert werden kann als Strom. Der richtige Umgang mit ihm ist nicht
problematischer als der mit Erdgas, Benzin und anderen Energieträgern.
Prof. Görge Deerberg sieht seine Potentiale jedoch zunächst vor allem in
der Industrie, denn er kann in vielen Anwendungen fossiles Erdgas
ersetzen: „Wasserstoff ist heute in erster Linie ein Chemierohstoff. Er
wird für die Herstellung von Ammoniak, Methanol und weiteren Chemikalien
sowie bei der Produktion von Treibstoffen genutzt. Zukünftig wird er eine
Schlüsselrolle bei der Erreichung der Klimaziele haben.“ In der
Industrieproduktion ist sein Einsatz besonders interessant, da hier sehr
große Mengen an Kohlendioxid (CO2) anfallen, die durch Wasserstoffeinsatz
stark zu verringern sind.
Auch bei Wasserstoffproduktion entsteht CO2
Allerdings ist der Einsatz von Wasserstoff nicht grundsätzlich
klimaneutral, je nach der Herstellungsweise können große CO2-Mengen
entstehen: „Nachhaltigkeit ist vielschichtig“, betont Deerberg. Es kommt
darauf an, welche Primärenergien für seine Produktion erforderlich ist und
aus welchen Quellen diese stammen. „Neben Biomasse ermöglicht nur
nachhaltiger Strom wirklich ‚grünen‘ Wasserstoff.“
Wasserstoff wird heute zu 95 Prozent Erdgas (Methan) hergestellt. Dabei
entsteht immer sehr viel CO2, bei der Dampfreformierung von Erdgas in
Raffinerien sind es pro Tonne Wasserstoff 9 bis fast 13 Tonnen CO2. In
Deutschland verursacht alleine diese H2-Produktionsweise 19 Millionen
Tonnen CO2. Ebenfalls wenig nachhaltig sind die Elektrolyse mit Atomstrom
und die Vergasung von Kohle und Erdöl.
Mittels Elektrolyse wird Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff
aufgespalten. Das Verfahren wirkt ebenfalls sehr unterschiedlich auf das
Klima, je nach Herkunft des Stroms (erneuerbar, fossil oder atomar). Im
aktuellen Strommix entstehen pro Tonne Wasserstoff bis zu 23,3 Tonnen CO2
sowie 8 Tonnen Sauerstoff. Grundsätzlich sind Strom- und Wasserverbrauch
sehr hoch.
Von einer mittleren Nachhaltigkeit spricht Deerberg bei der Gewinnung aus
Biomethan und durch die Vergärung von Pflanzen, aus Algen und durch andere
biologische Prozesse. Hier ist jedoch eine Steigerung auf „hoch“ möglich,
wenn das CO2, das bei der Umwandlung von Biomethan zu Wasserstoff
entsteht, aufgefangen und gespeichert wird.
„Spannend ist es, Wasserstoff elektrolytisch aus regenerativem
‚Überschussstrom‘ herzustellen und zu speichern und dann wieder Strom aus
ihm zu erzeugen, wenn erneuerbarer Strom nicht bereitsteht“, erläutert
Görge Deerberg. „Das ist nach heutigem Stand möglich, weil wir zeitweilig
mehr Strom erzeugen, als wir benötigen.“
Energiespeicherung wird problematisch
Doch 2022 werden die letzten Kernkraftwerke abgeschaltet, spätestens Ende
2038 soll Schluss sein mit der Kohleverstromung. Die Bedarfsdeckung ist
dann, so Deerberg, nur noch mit umfangreicher Energiespeicherung und
-importen möglich. Und das geht wohl nur mit Wasserstoff. „Wir reden hier
über Leistungen im Gigawatt-Bereich“, so Deerberg.
Gerade im Hinblick auf den steigenden Anteil erneuerbarer Energien ist die
Speicherung von Wasserstoff also interessant, weil er Bedarf und die oft
nicht steuerbare Bereitstellung von „Erneuerbaren“ ausgleichen kann und
weil der Transport von Energieimporten so effizient möglich ist.
Dafür müssen auch große Wasserstoffspeicher – etwa Kavernen – vorhanden
und die Kraftwerkstechnik für Wasserstoff geeignet sein.
Zukünftige Nutzungen
Als Treibstoff für Fahrzeuge hat Wasserstoff erhebliche Vorteile: niedrige
Schadstoffemissionen und – im Vergleich zu batteriegetriebenen – höhere
Reichweiten, die Antriebstechnik gibt es schon seit vielen Jahren. Jedoch
sind die Anschaffungskosten hoch und das Tankstellennetz dünn (zurzeit
etwa 70 Wasserstoff-Tankstellen in ganz Deutschland). Auch für Schiffe ist
die Technologie denkbar, wenn auch mit hohem (Umrüstungs-)Aufwand. Größere
Flugzeuge mit Wasserstoffantrieb sind zurzeit nicht realisierbar, jedoch
lassen sich mit Wasserstoff und CO2 Kerosin-ähnliche Treibstoffe
herstellen.
Um bei Heizungen und in der industriellen Produktion Erdgas flächendeckend
durch Wasserstoff ersetzen zu können, müssen wegen der anderen
Verbrennungseigenschaften von Wasserstoff die meisten Verbraucher
umgestellt werden. Kurz- bis mittelfristig Interessant sind für Deerberg
dezentrale Kraft-Wärme-Kopplungen (KWK) mit Brennstoffzellen in
Haushalten, die einen Wirkungsgrad von 95 Prozent erreichen. Für größere
Wohneinheiten, Bürogebäude oder Unternehmen könnten sich auch KWK mit
Gasmotoren oder -turbinen rentieren.
Bei der chemischen Nutzung von Wasserstoff in CO2- und energieintensiven
Produktionsbereichen geht es um vier Zweige, die miteinander gekoppelt
werden müssten:
* Die Stahlindustrie kann bisher ohne Kohlenstoff keinen Stahl
herstellen.
* CO2-Emissionen sind bei der Zementproduktion unvermeidbar.
* Bei der thermischen Abfallbehandlung wird CO2 freigesetzt.
* Und die (petro-)chemische Industrie wandelt Kohlenstoff in
Chemierohstoffe und Treibstoffe um, die bei der Verbrennung wiederum CO2 freisetzen.
Wenn nun das CO2 aus dem Stahlbereich, der Zementherstellung oder der
Müllverbrennung „eingefangen“ werden könnte, würde die chemische Industrie
es als Rohstoff nutzen können. Wie „CO2-Recycling im cross-industriellen
Verbund Stahl/Chemie (CCU)“ funktionieren kann, wird zurzeit erforscht.
Das CO2-Einsparpotential dürfte hoch sein, die Kosten aber auch.
Herausforderungen der Zukunft
Der wasserstofforientierte Umbau der Energie- und Rohstoffversorgung wird
eine enorme Aufgabe für die Politik, die Wirtschaft und die Gesellschaft.
Gleichwohl haben bereits viele Staaten die Vorteile von Wasserstoff
erkannt und nationale Wasserstoffstrategien entwickelt. Es gibt
hinsichtlich rechtlicher Regelungen und des Aufbaus einer großflächigen
Versorgungsinfrastruktur, des European Hydrogen Backbone, „unglaublich
viele Aktivitäten auf den unterschiedlichsten Ebenen, um den Wasserstoff
als Komponente der Klimalösungen ein Stück weit einzubringen“, so
Deerberg. Er nennt in diesem Zusammenhang u.a. den „Green Deal“ der EU-
Kommission, die Nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung, die
Hydrogen Roadmap Europe und die Wasserstoffroadmap Nordrhein-Westfalen.
Vortrag zum Thema
Einen Vortrag zu der Thematik hat Prof. Deerberg in der Ringvorlesung
Energie, Umwelt & Nachhaltigkeit des gleichnamigen Forschungsschwerpunktes
der FernUniversität gehalten: „Farben des Wasserstoffs: Transformation der
Energie- und Rohstoffversorgung“.
Weitere Informationen finden Sie unter:
https://thigrandi.fernuni-hagen.de:8443/rektor/nachhaltigkeit/Deerberg_Wasserstoff.mp4
FernUniversität in Hagen
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