08.07.2020
Wie weit fliegen Wildbienen auf Nahrungssuche?
Ergebnisse von Markierungsexperimenten im Botanischen Garten München
Wie weit fliegen Bienen auf ihrer Futtersuche? Vor allem dann, wenn sie
bereits ein Nest mit Proviant versorgen müssen, also an einen festen Ort
gebunden sind, zu dem sie immer wieder zurückkehren?
Dieser Frage gingen Botanikerinnen und Botaniker der Botanischen Staatssammlung München (SNSB-
BSM) und der LMU München nach, indem sie über 2600 Wildbienen im Botani-
schen Garten München-Nymphenburg markierten. Ihre Ergebnisse
veröffentlichte das Forscherteam nun in der wissenschaftlichen Zeitschrift Journal of Hymenoptera Research.
Von Honigbienen weiß man durch Markierung, unter anderem mit Hilfe von
Funksendern, wie weit die Arbeiterinnen vom Stock ausfliegen, um Nektar
und Pollen zu sammeln. Allerdings sind die Ergebnisse der staatenbildenden
Honigbienen, die dazu durchaus mehrere Kilometer weit fliegen können,
nicht auf die solitären Wildbienen übertragbar. Eine ausfliegende
Honigbienen-Arbeiterin muss sich wenig „Gedanken“ darüber machen, wie
lange sie vom Stock fernbleibt, um Nahrung heranzuschaffen, denn im Stock
verbleiben immer tausende ihrer Geschwister, die das Nest und den
Nachwuchs bewachen und versorgen. Die allermeisten der ca. 580 heimischen
Wildbienen hingegen sind Solitärbienen, das heißt ein einzelnes Weibchen
versorgt ganz alleine ihren Nachwuchs: vom Nestbau zur Futtersuche,
Pollensammeln, Verproviantierung und Eierlegen – bei den meisten
Wildbienenarten ist dies ein „One-Women-Business“. Hier muss die Wildbiene
streng abwägen: je länger sie ihr Nest unbewacht lassen muss, desto größer
die Gefahr, dass das Nest durch Fressfeinde, Nesträuber oder Parasiten
befallen wird. Wissenschaftler haben ebenso bemerkt, dass die Zahl der
aufgezogenen Larven umso geringer ist, je weiter ein Wildbienenweibchen
fliegen muss, um die nötige Menge an Pollen und Nektar (und gegebenenfalls
auch noch Nistmaterial) für ihre Brutzellen heranzuschaffen.
Die Plätze, an denen Wildbienen ihre Nester bauen, liegen oft nicht in
direkter Nachbarschaft zu ihren Nahrungsgründen – wie weit entfernt diese
auseinanderliegen dürfen, damit sie für die Bienen noch erreichbar sind,
war bisher noch nicht bekannt. In den Fällen, in denen die Nester und die
Nahrungspflanzen sich in völlig verschiedenen Lebensräumen befinden (wenn
die Wildbiene z.B. an Steilwänden in einen Steinbruch nistet, die
Nahrungspflanzen aber nur in Wiesen wachsen), waren die Flugdistanzen
leicht zu ermitteln indem man die Abstände zwischen den Lebensräumen
ermittelte. Auch wurden bereits vor mehr als 100 Jahren Experimente
durchgeführt, bei denen Wildbienen an ihrem Nest gefangen, markiert und
dann in verschiedener Entfernung vom Nest wieder freigelassen wurden – man
beobachtete, aus welcher Entfernung die Biene noch zurück zu ihrem Nest
findet, und ermittelte so die maximalen Flugdistanzen. Diese sind für jede
Bienenart unterschiedlich, aber generell fliegen große Bienenart weiter
als kleine. Allerdings lieferten solche Experimente immer
Maximaldistanzen, sprich Entfernungen, ab derer eine bestimmte
Wildbienenart nicht mehr in ihr Nest zurückfindet. Um aber festzustellen,
wie weit Wildbienen im natürlichen Verhalten vom Nest ausfliegen, um
Nahrung zu sammeln war eine andere Methode nötig.
In der aktuellen Studie markierten die Forscherinnen und Forscher
Wildbienen direkt an ihrem Nest, und zwar so, dass sie in ihrem
natürlichen Sammelverhalten nicht beeinträchtigt werden. Nur so kann man
sehen, in welcher Entfernung vom Nest Bienen natürlicherweise Pollen
sammeln. Die Markierungsversuche wurden von Studenten und Wissenschaftlern
der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Botanischen
Staatssammlung München (SNSB-BSM) durchgeführt: im Botanischen Garten
München-Nymphenburg wurden in den Jahren 2017 und 2018 an zwei großen
Insektennisthilfen Wildbienen individuell markiert, um diese dann im
Botanischen Garten auf den Blüten wiederzufinden. Unter der
wissenschaftlichen Leitung von Prof. Susanne Renner vom Institut für
Systematische Botanik der LMU und Botaniker und Wildbienenkenner Dr.
Andreas Fleischmann von der Botanischen Staatssammlung München wurden von
Doktorandin Michaela Hofmann zusammen mit Bachelor-Studenten der LMU in
den beiden Jahren insgesamt 2689 Wildbienen-Individuen markiert. Dazu
wurde jedem Tier mit ungiftigem Schelllackkleber ein farbiges,
nummeriertes Plastikplättchen auf ihren Rücken geklebt. Mit dieser Methode
markieren Imker normalerweise ihre Bienenkönigin. Kleinere Wildbienenarten
wurden mit individuellen Farbcodes aus ungiftigem Farblack auf ihrem
Rücken markiert. Es wurden sechs Wildbienen-Arten untersucht – größere und
kleinere, solche die im Frühjahr fliegen und typische Sommerarten, Arten
mit breitem Nahrungsspektrum und Nahrungsspezialisten, die Pollen für ihre
Larven nur an einer einzigen oder ganz wenigen Pflanzen sammeln
(sogenannte oligolektische Arten). Die markierten Bienen wurden dann
während ihrer Flugperiode täglich im Garten an möglichen Futterquellen
gesucht. Darüber hinaus konnten auch Besucher des Botanischen Gartens
beobachtete markierte Wildbienen melden und mit einem (Handy)Foto
dokumentieren – die Daten aus diesem von den Besuchern sehr gut angenommen
Citizen-Science-Projekt flossen ebenfalls in die Studie mit ein, insgesamt
gab es 203 Rückmeldungen von gesichteten markierten Wildbienen durch
Gartenbesucher.
Von den 2689 markierten Bienen wurden insgesamt 450 wiedergefunden, und
die daraus resultierenden Entfernungen vom Nest berechnet. „Die sechs
untersuchten Bienenarten haben eine Körperlänge von 6 mm bis 1,5 cm.
Insgesamt betrugen die mittleren Flugdistanzen der Weibchen auf
Futtersuche zwischen 73 und 121 m – die kleineren Bienenarten flogen dabei
wie erwartet weniger weit, als die größeren“, so Prof. Susanne Renner.
Die Ergebnisse der Studie sind besonders relevant für den praktischen
Umweltschutz. „Wildbienen brauchen in ihrem Lebensraum zum einen
Nistplätze, etwa Totholz oder offene Bodenstellen, zum anderen die
passenden Nahrungspflanzen, an denen sie Pollen und Nektar für sich und
ihre Nachkommen sammeln können. Beides wird leider in unserer aus- und
aufgeräumten Landschaft immer weniger“, so der SNSB-Botaniker und
Vorsitzende der Bayerischen Botanischen Gesellschaft, Dr. Andreas
Fleischmann. Natürliche, artenreiche Blumenwiesen, Streuobstwiesen,
Hecken, Ackerränder, Waldsäume und Gewässerrandstreifen verschwinden durch
landwirtschaftliche Intensivnutzung oder aber übertriebenen menschlichen
Ordnungssinn zunehmend in unserer Landschaft. „Dabei sind dies für
Wildbienen und viele andere Insekten- und auch Pflanzenarten die
wichtigsten Lebensräume“, so Fleischmann. „Man kann diese nicht einfach
durch die Aussaat von Blühstreifen ersetzen“. Man müsse die noch
vorhandenen, intakten Lebensräume schützen und pflegen, und vor allem
wieder miteinander vernetzen. Dafür kann auch die Anlage von naturnahen
Flächen mit heimischen Pflanzen hilfreich sein, ebenso wie die Anlage von
Nisthabitaten für Insekten. Mit der vorliegenden Studie ist nun auch eine
Daumenregel gegeben, wie weit Nistlebensräume für Wildbienen von deren
Nahrungsplätzen, sprich artenreichen, blühenden Flächen, entfernt sein
dürfen. Für kleinere Wildbienenarten sind dies nur ein paar hundert Meter-
idealerweise sollte sich also in nicht mehr als ca. 150 m Entfernung einer
Insektennisthilfe eine Fläche mit den passenden heimischen Wildpflanzen befinden.
Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.botanischestaatssammlung.de - Botanische Staatssammlung München
http://www.botmuc.org - Botanischer Garten München-Nymphenburg
http://www.snsb.de - Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns
Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns
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