11.07.2019
Klimawandel – Flechten, die ersten Siedler nach der großen Schmelze
Flechten gehören zu den ersten Organismen, die Felsen oder steinige Böden nach der Gletscherschmelze neu besiedeln. Forscher u.a. der Botanischen Staatssammlung München (SNSB-BSM) untersuchten die Flechtenvegetation nach dem Abschmelzen von Eismassen in der Antarktis. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler Anfang Mai in der wissenschaftlichen Zeitschrift Symbiosis.
Der Klimawandel hat großen Einfluss auf die Entwicklung der Ökosysteme auf
der Erde. Besonders bemerkbar macht sich die Veränderung des Klimas in der
Antarktis: So hat beispielsweise King George Island, eine Insel der
Südlichen Shetlandinseln der Antarktis, mit 3,0°C den weltweit höchsten
Temperaturanstieg während der vergangenen 60 Jahre erfahren.
Wissenschaftler erwarten eine Zunahme der eisfreien Gebiete der Antarktis
um ein Viertel bis zum Ende des Jahrhunderts. Dies wird sich auch in den Ökosystemen widerspiegeln.
Flechten sind symbiontische Lebensgemeinschaften zwischen Pilzen und
Photosynthese betreibenden Grünalgen oder Cyanobakterien. Sie sind
besonders gut an extreme Standorte angepasst und bilden häufig die
Pioniervegetation auf durch Eisschmelze freiwerdenden Flächen. Daher sind
die eisfreien Lebensräume der Antarktis weitestgehend von Flechten
dominiert. Die Besiedelung ändert sich stetig mit zunehmendem „Alter“ des
Geländes: Je länger ein Gebiet eisfrei ist, desto artenreicher sind auch
die Flechtengemeinschaften. Ein Grund dafür ist, dass den Organismen mehr
Nährstoffe zur Verfügung stehen.
Eine Arbeitsgruppe um Andreas Beck, Kurator an der Botanischen
Staatssammlung München (SNSB-BSM), untersuchte in Kooperation mit einer
Forscherin aus Temuco (Chile) nun Flechtengemeinschaften der Gattung
Placopsis von den Südlichen Shetlandinseln (maritime Antarktis) und ihre
Grünalgensymbionten. Erforscht wurden die Flechtengemeinschaften von
diversen Standorten unterschiedlicher Enteisungsphasen. Die Krustenflechte
Placopsis kommt weltweit mit etwa 60 Arten vor. Ihre größte Vielfalt hat
sie auf der Südhalbkugel. Über ihre Grünalgensymbionten war bislang wenig bekannt.
Zunächst haben DNA Analysen gezeigt, dass es sich bei den Pionierflechten
Placopsis antarctica und Placopsis contortuplicata um genetisch eng
verwandte Schwesternarten handelt. Für beide Arten konnten die gleichen
Grünalgensymbionten identifiziert werden: die ebenso eng verwandten
Stichococcus antarcticus und Stichococcus allas. Arten dieser
Grünalgengattung waren den Wissenschaftlern bisher weltweit fast nur als
freilebende Formen bekannt. Bemerkenswert ist die Verwandtschaft der
antarktischen Stichococcus-Arten: Ihre genetisch nächsten Verwandten
finden sich in den Böden der Schweizer und Österreichischen Alpen –
ebenfalls in Gletschernähe. Aufgrund ihrer geringen Größe, wäre der
Transport durch Winde zwar möglich, aber aufgrund der vor-herrschenden
Windrichtung auch sehr schwierig, so Andreas Beck, Erstautor der Studie.
Doch ihre Lebensräume sind - trotz der großen Distanz - recht ähnlich:
kahl und vom Rückzug der Gletscher betroffen.
Besonders überrascht hat die Forscher, dass die genetische Variabilität
der Grünalgen mit der Länge der Eisfreiheit der Fläche, auf der sie
siedeln, zunimmt. Einige genetische Varianten sind auf die am längsten
eisfreien Gebiete beschränkt. Somit steigt nicht nur der Artenreichtum der
Flechtengemeinschaften, sondern auch die genetische Variabilität der
Symbiosepartner. „Die unterschiedlichen Oberflächenalter der Böden sind
vermutlich nicht die Ursache für diese genetische Variation der Grünalgen.
Verantwortlich könnten Variablen wie Temperaturunterschiede, die Länge der
Schneebedeckung oder die Entfernung zur Küste sein. Um das zu klären sind
weitere Studien notwendig,“ erläutert Andreas Beck.
Originalpublikation:
Beck, A., Bechteler, J., Casanova-Katny, A., Dzhilyanova, I. 2019 The
pioneer lichen Placopsis in maritime Antarctica: Genetic diversity of
their mycobionts and green algal symbionts, and their correlation with
deglaciation time. Symbiosis
https://doi.org/10.1007/s13199-019-00624-4
Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.snsb.de - Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns (SNSB)
http://www.botanischestaatssammlung.de - Botanische Staatssammlung München (SNSB-BSM)
Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns
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