21.11.2017
Klimawandel: Stadtbäume weltweit wachsen schneller
Bäume in Metropolen wachsen weltweit seit den 60er-Jahren des vergangenen
Jahrhunderts schneller als Bäume in ländlicher Umgebung. Dies belegt
erstmals eine Studie zum Einfluss des städtischen Wärmeinseleffektes auf
das Baumwachstum, die unter Leitung der Technischen Universität München (TUM) durchgeführt wurde.
Die Analyse des internationalen Forscherteams zeigt zugleich, dass das Wachstum der Stadtbäume schon seit Längerem sich
verändernden Klimabedingungen ausgesetzt ist, was sich für Bäume im ländlichen Umfeld gerade erst einstellt.
„Während die Auswirkungen des Klimawandels auf das Baumwachstum in Wäldern
umfassend untersucht wurden, gibt es für Stadtbäume bislang kaum
Informationen“, sagt Professor Hans Pretzsch vom Lehrstuhl für
Waldwachstumskunde der TUM. Die vom Bayerischen Staatsministerium für
Umwelt und Verbraucherschutz sowie von der Audi Stiftung für Umwelt
unterstützte Studie, die im Fachmagazin „Nature Scientific Reports“
veröffentlicht wurde, hat zum ersten Mal das Wachstum von Stadtbäumen
weltweit systematisch auf Trends untersucht, die von veränderten Umweltbedingungen herrühren.
Eine zentrale Motivation für das Team um Professor Pretzsch sei der Trend
zur globalen Urbanisierung: So soll laut Berechnungen der Vereinten
Nationen die städtische Bevölkerung bis 2030 um mehr als 60 Prozent
zunehmen – mit weiterhin steigender Tendenz. Nachdem Stadtbäume das Klima
in Städten verbessern, zu Wohlbefinden und Gesundheit der Stadtbewohner
beitragen, zeigen diese Prognosen, dass ihre künftige Bedeutung für urbane Lebensqualität noch steigen wird.
Für die Studie sind Proben von Baumkernen aus den Metropolen Berlin,
Brisbane, Hanoi, Houston, Kapstadt, München, Paris, Prince George, Sapporo
und Santiago de Chile genommen und analysiert worden. Die Städte wurden so
ausgewählt, dass unterschiedliche Klimazonen abgedeckt wurden. Die
Bandbreite reichte von borealem, über gemäßigtes, mediterranes bis hin zu
subtropischem Klima. Insgesamt nahm das Forscherteam der TUM knapp 1400
meist ausgewachsene Bäume in ihren Fokus. In jeder Stadt wurde eine
typische und vorherrschende Baumart ausgewählt und sowohl im Stadtzentrum
als auch in der ländlichen Umgebung untersucht.
Stadtbäume wachsen um ein Viertel schneller als Landbäume
„Wir können zeigen, dass Stadtbäume bei gleichem Alter im Durchschnitt
größer sind als ländliche Bäume, denn die Stadtbäume wachsen schneller“,
sagt Prof. Pretzsch. Bei näherer Betrachtung nehme der relative
Größenunterschied von städtischen gegenüber ländlichen Bäumen mit
zunehmendem Alter wieder ab, bleibe jedoch relevant. „Während der
Unterschied im Alter von 50 Jahren noch etwa ein Viertel beträgt, sind es
bei einem Baumalter von hundert Jahren immer noch knapp 20 Prozent.“
Die Ursache für die Wachstumsbeschleunigung der Stadtbäume sehen die
Forscher in dem so genannten Wärmeinseleffekt. Dieser Effekt führt in
Stadtzentren zu einer stärkeren Aufheizung und somit höheren Temperaturen.
Verglichen mit der ländlichen Umgebung kann diese Temperatursteigerung
zwischen drei und zehn Grad Celsius ausmachen. Höhere Temperaturen können
in zweierlei Hinsicht das Wachstum von Bäumen steigern: Einerseits regen
sie die photosynthetische Aktivität an. Andererseits verlängern sie die
Vegetationsperiode, was die Zeitspanne im Jahr vergrößert, in der Bäume wachsen können.
Die zunächst positiv erscheinende Wachstumssteigerung geht aber auch mit
einem schnelleren biologischen Altern der Bäume einher. Das raschere
Durchlaufen des Lebenszyklus kann dazu führen, dass Stadtverwaltungen
unter Umständen künftig früher für Ersatz überalterter, früher
absterbender Bäume sorgen müssen, urteilt Pretzsch.
Der Klimawandel beschleunigt das Wachstum allgemein
Ungeachtet des Vorsprungs der Stadtbäume kann das Team um Prof. Pretzsch
mit der Studie ebenso zeigen, dass sowohl städtische als auch ländliche
Bäume durch den Klimawandel seit den 1960er Jahren schneller wachsen.
Diese Beobachtung spiegelt ein Muster wider, das bereits international in
vergleichbaren Studien für Waldbäume berichtet wurde.
„Die allgemeine Wachstumsbeschleunigung bei allen Bäumen um rund 20
Prozent, über die wir in der aktuellen Studie berichten, ist vergleichbar
mit früheren Befunden über Wälder. Dieser Effekt wurde auch in der
landwirtschaftlichen Produktion beobachtet“, sagt Waldwachstumskundler
Pretzsch. Offensichtlich gab und gibt es Änderungen der Umweltbedingungen,
die ein beschleunigtes Baumwachstum über verschiedene Klimazonen hinweg
fördern. „In diesem Zusammenhang werden neben der globalen Erwärmung auch
Düngungseffekte durch die ansteigende atmosphärische CO2-Konzentration und
vermehrte Stickstoffdepositionen als mögliche treibende Kräfte diskutiert.“
Trotz möglicher negativer Auswirkungen des globalen Klimawandels auf Bäume
– wie Dürreereignisse, die das Wachstum einschränken oder sogar zum
Absterben von Bäumen führen können – scheinen die beobachteten Bäume
bisher profitiert zu haben. Dies geschah auf einheitliche Weise: Sowohl
städtische als auch ländliche Bäume über alle untersuchten Klimazonen
hinweg beschleunigten ihr Wachstum in den vergangenen Jahrzehnten erheblich.
Auch wenn Stadtbäume generell schneller wachsen als ländliche Bäume, haben
letztere zumeist stärker vom Klimawandel profitiert. Dies könnte ein bald
eintretendes Limit andeuten. „Wir vermuten das, weil Stadtbäume durch den
Wärmeinseleffekt den Klimawandel quasi vorverlegt erleben“, sagt Prof.
Pretzsch – „in einer derzeit laufenden Studie versuchen wir solche
Mechanismen aufzudecken, um rechtzeitig problematische Nebeneffekte zu erkennen.“
https://www.nature.com/articles/s41598-017-14831-w
Technische Universität München
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