15.10.2017
Erhalt von Flussauen ist Hochwasser- und Artenschutz
Die Verschlammung von Flüssen und Bächen führt zu Problemen für Fische, Muscheln und andere Gewässerlebewesen, weil ihre Lebensräume schwinden. Doch nicht allein intensive Landwirtschaft und Erosion vernichten diese Lebensräume.
Eine Studie von Wissenschaftlern der Technischen Universität
München (TUM) widerlegt diese weitverbreitete Ansicht. Um die im
Gewässergrund lebenden Arten zu retten – und die Menschen vor drohendem
verheerendem Hochwasser zu schützen – brauchen Flüsse wieder mehr Raum, Vielfalt und Freiheit.
Objekt der Studie war die Moosach, ein Zufluss der Isar und vor der
Weihenstephaner „Haustür“ der TUM gelegen. Die Moosach fließt zwischen der
Münchner Schotterebene und tertiärem Hügelland weitgehend in einem
künstlichen Bett. Alle paar Jahre muss der Fluss ausgebaggert werden, um
mehrere tausend Kubikmeter Schlamm zu entfernen.
Das Tertiärhügelland, 65 Millionen Jahre alt, zählt zu den Gebieten mit
den höchsten Erosionsraten. Doch weniger als ein Prozent des
Erosionsmaterials bleibt am Grund liegen. Durch Verminderung der Erosion
lässt sich daher das Problem nicht lösen. Dieses Ergebnis lieferte die
Analyse von Gewässerboden-Proben über mehrere Jahre hinweg von Professor
Karl Auerswald vom Lehrstuhl für Grünlandlehre und Professor Jürgen Geist
vom Lehrstuhl für Aquatische Systembiologie.
„Allein eine Verhinderung der Erosion, wie sie die Wasser- und
Fischwirtschaft seit langem fordert, hilft Gewässern folglich nicht“,
konstatiert Professor Auerswald. Über viele Jahrzehnte befestigt und
gestaut, begradigt und vertieft, fehle den Flüssen vor allem ihre
natürliche Fließgeschwindigkeit. Ebenso fehlt die Auenlandschaft am Ufer,
um – auch bei Hochwasser – das Flussbett verändern zu können. Die Diagnose
zur Moosach: „ein Gerinne, kein Fluss mehr“, sei auf alle Flüsse in Bayern
und weltweit übertragbar, sagt der TUM-Professor.
Das Verschwinden natürlicher Veränderung
Die beiden Wissenschaftler der TUM haben die Ergebnisse ihrer Untersuchung
gerade in der internationalen Fachzeitschrift „Land Degradation &
Development“ veröffentlicht. Der Titel “Extent and causes of siltation in
a headwater stream bed: catchment soil erosion is less important than
internal stream processes” – was frei übersetzt „Ausmaß und Ursachen der
Verschlammung: Erosion hat weniger Einfluss als Fließgewässerprozesse“
lautet – weist darauf hin, wie bedeutsam die Durchströmung für den Boden
eines Gewässers ist. Denn das zentrale Refugium von Klein- und
Kleinstlebewesen sowie der Eiablage-Ort für diverse Flussfische ist am
Gewässerboden und zwar in den mit sauerstoffhaltigem Wasser gefüllten
Hohlräumen im Kies. Bereits eine dünne Sedimentschicht reicht aus, diese
Zwischenräume abzudichten.
„Eintrag von Erosionsmaterial passiert auch unter natürlichen
Bedingungen“, erklärt Auerswald. „Aber unter natürlichen Bedingungen wird
der Gewässerboden immer wieder umgelagert und das Lückensystem durch den
Grundwasserzustrom aus der überfluteten Aue freigespült.“ Weil Flüsse
begradigt und kanalisiert wurden, verschwindet diese Auendynamik, und
ebenso ist der natürliche Zustrom von unten nach Hochwasserereignissen
stark zurückgegangen.
Die Menschen haben aus zunächst gutem Grund in den Lauf der Flüsse
eingegriffen: Um Städte vor Überschwemmungen zu schützen, Sümpfe
trockenzulegen und Cholera und Typhus zurückzudrängen, war ab Anfang des
19. Jahrhunderts damit begonnen worden, Flüsse zu begradigen und in Kanäle
zu zwängen. So wurde zudem Land für die weitere Besiedlung gewonnen. Die
Auenlandschaften, wichtige Überflutungsgebiete und natürlicher
Hochwasserschutz, wurden mehr und mehr verdrängt. So fehlt den Flüssen an
Ufer und Grund die Möglichkeit der Veränderung. Doch gerade diese
Unterschiede sind entscheidend für die Biodiversität eines Gewässers, für
seinen Artenreichtum im und am Wasser.
Auerswald mahnt: „Flussauen müssen tabu sein“
Auerswald vermisst das richtige Maß: „Wie so oft, geht der Mensch einen
zunächst richtigen Weg auch dann weiter, wenn er schon über das Ziel
hinaus ist.“ Bei lokalen Planungen und Bauentscheidungen sei die Aue
„immer der Verlierer“. Auerswald rät, wie schon seit vielen Jahren,
dringend, den Flüssen wieder Gestaltungsfreiheit zu geben.
Das bedeute konsequenterweise, dass bei Renaturierungsmaßnahmen der Fluss
sein Bett gestalten könne. „Das, was noch an Auenlandschaft vorhanden ist,
hat unbedingt tabu zu sein“, warnt er angesichts des ungebremsten Bedarfs
der Städte an Bauland – und angesichts seiner Modellrechnungen zu
künftigen Hochwasser-Ereignissen: „Wir täten sehr gut daran, die Flüsse
selbst wieder mäandern zu lassen.“
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ldr.2779/full
http://www.tum.de/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/detail/article/34198/
Technische Universität München
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