25.09.2017

Evolution der schnellsten Fallen im Pflanzenreich

Biomechanik und Evolution der Saugfallen bei fleischfressenden Wasserschläuchen:

Wasserschläuche sind die größte Gruppe von fleischfressenden Pflanzen mit faszinierenden Saugfallen, die mit Unterdruck kleine Beutetiere einsaugen. Allerdings war bisher die Funktionsweise der Fallen nur von wenigen, im Wasser lebenden Arten bekannt.

Nun wurden erstmals auch lebende Fallen von landlebenden Arten mit Hilfe von Hochgeschwindigkeitsaufnahmen und Elektronenmikroskopie untersucht, und die Evolution dieser Fallen anhand eines Stammbaumes der Gattung rekonstruiert.
 
Wasserschläuche (Utricularia spp., Familie Lentibulariaceae) sind rätselhafte fleischfressende Pflanzen mit vielen Superlativen: So sind sie die abstammungsgeschichtlich jüngste und mit mehr als 240 Arten dennoch größte Gattung an karnivoren Blütenpflanzen, sie haben die schnellsten Fallen (die Saugfallen führen eine der schnellsten Bewegungen im Organismenreich durch, die Beutetiere werden beim Einsaugen durch Unterdruck mit bis zu 4 Metern pro Sekunde Geschwindigkeit auf bis zu 2800-fache Erdanziehung beschleunigt), sie sind Pflanzen ganz ohne Wurzeln und Laubblätter (die eigentlichen Blätter sind zu den typischen, blasenartigen Fallen umgewandelt, die Photosynthese übernehmen bei diesen Pflanzen hingegen umgewandelte Sprosse), sind fast weltweit verbreitet, zeigen viele verschiedene Lebensformen (von Wasserpflanzen bis hin zu Epiphyten im tropischen Nebelwald) und eine sehr hohe Bandbreite an morphologischer Variabilität.
 
Seit einigen Jahren werden vergleichende morphologische und biomechanische Analysen der ultraschnellen Saugfallen, von Dr. Simon Poppinga und Anna Westermeier in der Plant Biomechanics Group am Botanischen Garten der Universität Freiburg unter der Leitung von Prof. Thomas Speck durchgeführt, welche bereits zu fundamentalen Einsichten in die Funktionsweise dieser hochkomplexen Strukturen geführt haben. Allerdings wurden bisher fast alle Untersuchungen an frei im Wasser schwimmenden Wasserschlauch-Arten durchgeführt, obwohl diese nur etwa 16% der Artenvielfalt in dieser Pflanzengruppe ausmachen. Untersuchungen der viel artenreicheren und vielfältigeren landbewohnenden Arten fehlten bisher. Nur wurden erstmals vergleichende Untersuchungen zur Fallendiversität und Funktionsweise an lebenden Fallen verschiedenster Arten aus verschiedenen Lebensräumen angestellt und dadurch Erkenntnisse zur Evolution dieser faszinierenden Fangorgane gewonnen.
 
Die Ergebnisse dieser Kooperation zusammen mit Dr. Andreas Fleischmann von der Botanischen Staatssammlung München sowie mit Prof. Kai Müller vom Institut für Evolution und Biodiversität der Universität Münster wurden nun im open access Fachmagazin Scientific Reports veröffentlicht. Vergleichende funktionsmorphologische und biomechanische Untersuchungen an Fallen von 19 Wasserschlaucharten zeigen eine hohe Vielfalt an Falleneingangs- und Türstrukturen sowie unterschiedliche Bewegungsabläufe beim Saugen, die als Anpassungen an die verschiedenen besiedelten Lebensräume interpretiert werden können. Eine Art (Utricularia multifida) aus einer verwandtschaftlich sehr ursprünglichen, artenarmen Gruppe aus Südwest-Australien zeigt überhaupt gar keine Fallenaktivität und kann daher als passiver Fallentyp gewertet werden, der wahrscheinlich, anstatt zu saugen, mit einer passiven Klapptüre ähnlich einer Katzenklappe Beute fängt. Aus diesen passiven Vorläufern entwickelten sich in den nächstverwandten Abstammungslinien in Australien aktive Saugfallen, die je nach Lebensraum entsprechend modifiziert wurden. Die Entwicklung der aktiven Saugfallen scheint eine Schlüsselentwicklung für die ungeheure Artenvielfalt in dieser Gruppe gewesen zu sein. Von landlebenden Vorfahren mit aktiven Saugfallen sind mehrmals Linien von Wasserpflanzen entstanden, deren Vertreter die gut untersuchten, extrem schnellen Saugbewegungen ausführen. Erstmals konnten solche Form-Struktur-Funktionszusammenhänge aufgedeckt und in einen evolutiven Kontext anhand einer phylogenetischen Rekonstruktion der Gattung Utricularia, basierend auf Gensequenzen von 105 Arten, gebracht werden.
 
http://www.nature.com/articles/s41598-017-12324-4
http://www.snsb.de
http://www.botanischestaatssammlung.de

Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns

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